Josephinismus als Aufgeklärter Absolutismus.

Hrsg.: Reinalter, Helmut

Wien, Böhlau Verlag, 2008.

 

 

 

 

Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes gehen auf die verschiedenen Reformkomplexe Josephs II. ein. Dabei verdeutlichen die Darstellungen einmal mehr, wie sehr die Ausbildung des modernen Staates im Österreich des 18. Jahrhunderts mit dem Josephinismus zusammenfiel. Der Herausgeber Helmut Reinalter definiert den mit der Aufklärung konvergierenden Josephinismus als „österreichische Form einer allgemein gesellschaftlichen, politischen und kulturell-geistigen Bewegung“ (S. 7), die weit über die eigentliche Regierungszeit Josephs II. hinaus reichte. Damit knüpft er an eine in der Forschung inzwischen etablierte Bewertung an, die den Josephinismus nachweislich auch auf die Regierungszeit Maria Theresias bezogen sieht. Modulationen verweisen allerdings auf signifikante Unterschiede. Einer davon ist die Ausformung des aufgeklärten Absolutismus, der einen Aspekt des Josephinismus darstellte und dessen Fixpunkt Joseph II. war.

Im Fokus des Sammelbandes steht das Interesse, „die Bedeutung, Einflüsse und Wirkungen des Josephinismus im Rahmen des Aufgeklärten Absolutismus aufzuzeigen und zu beurteilen“ (S. 8). Die Beiträge durchleuchten demgemäß separat das Verhältnis von Staat und Kirche, Bürokratie, Bildungs-, Rechts-, Sozial- und Wirtschaftspolitik – also von jenen Bereichen, die konstitutiv waren für die unter Maria Theresia begonnene Schaffung eines zentralistischen Einheitsstaates, der sich in der zweiten Jahrhunderthälfte zunehmend zu einem sich ganz für das Allgemeinwohl zuständig betrachtenden und von Effizienz bestimmten Staat entwickelte.

Wenngleich dieser Modernisierungsprozess emanzipatorische Ansprüche mit sich trug, die – wie Reinhold Knoll aufzeigt – auch im Kontext von Kunst und Kultur einen Widerhall fanden, entbehrte er nicht des repressiven Gehalts. Dieses dialektische Moment des Josephinismus, der für ein den Herrschaftsanspruch neu austarierendes Phänomen wie den aufgeklärten Absolutismus eine stabilisierende Funktion übernahm, schloss eine defensive Modernisierung mit ein. Die meisten Beiträge lassen dieses zwiespältige Moment zum Vorschein kommen. Wie bestimmend es für die politische und gesellschaftliche Entwicklung der Habsburgermonarchie im 19. Jahrhundert war, verdeutlichen die hierauf konzentrierten umfangreichen Ausführungen von Matthias Rettenwander. Er zieht das begründete Fazit, dass das Bürgertum, von einer nachhaltig wirkenden ambivalenten Regierungspraxis Josephs II. geprägt, sich lange Zeit nicht vom Zweifel an der Mündigkeit des Individuums loslösen konnte und damit die „theoretische Fundierung des absoluten Staates gegenüber der eigenen Selbstfindung als soziale Klasse“ (S. 425) begünstigte.

Angesichts eines breiter gefassten Josephinismus-Begriffes helfen die zwei instruktiven Beiträge von Rudolf Pranzl und Irmgard Plattner, das Verhältnis von Staat und Kirche sowie den Auf- und Ausbau der Staatsverwaltung nach wie vor als die beiden zentralen Zugänge zum Verständnis des Josephinismus zu betrachten. In seinen Ausführungen zu den staatskirchlichen Reformen konstatiert Rudolf Pranzl, dass die Kirche zwangsläufig von den josephinischen Reformen betroffen war, insofern „sie einen der bedeutenderen autonomen Bereiche darstellte, ohne deren ‚Verstaatlichung’ die Staatsmodernisierung nicht bzw. nicht in diesem Ausmaß hätte geschehen können“ (S. 50). Der Aspekt des aufgeklärten Absolutismus tritt hier deutlich hervor. Pranzl beleuchtet das neue Selbstverständnis des Staates, das einer metaphysischen Grundlegung entbehrte und entsprechend mit seiner rationalistisch-utilitaristischen Ausrichtung auf einem säkularen Weltverständnis basierte. Die Kompetenzen von Staat und Kirche wurden vor diesem Hintergrund klar abgegrenzt. Verschiedentlich äußerte sich Staatskanzler Kaunitz etwa 1768 dahingehend, dass der Kirche keine Autorität und Einflussnahme im weltlichen Bereich zustehe und sich die kirchlichen Regelungen auf Angelegenheiten zu beschränken hätten, die den Glaubensbereich anbelangten. Diese „strikte Trennung zwischen iura in sacra und iura circa sacra“ (S. 33) wurde allerdings mehr und mehr durchbrochen. Neben der staatlichen Instrumentalisierung der kirchlichen Infrastruktur und des Personals griff insbesondere Joseph II. im Interesse von Allgemeinwohl und öffentlicher Ordnung verstärkt in die Frömmigkeitsformen und die liturgische Gestaltung ein. Die von einer Entzauberung des Religiösen mitbestimmten staatlichen Maßnahmen in den 1780er-Jahren, in denen der Josephinismus auch an theologischer Substanz verlor [1], „könnte man daher als Form einer zumindest im Ansatz grundgelegten impliziten Säkularisierung bezeichnen“ (S. 47), konstatiert Pranzl schlüssig.

Der Nexus von Kirchenpolitik und Staatsleben bei Joseph II. wird deutlich durch die Abhandlung Irmgard Plattners über den Josephinismus und die Bürokratie. Sie hebt das starke Interesse des jungen Joseph an Herrschaftsorganisation, Verwaltung und Beamtentum hervor. Das Verhältnis von Staat und Kirche spielte dabei zunächst eine marginale Rolle. Früh übte Joseph Kritik an der bestehenden Verwaltung und forderte Reformen. Seine Vision eines absolut regierten Staates mit asketischen, tugendhaften und fleißigen Beamten und einem omnipotenten Herrscher an der Spitze spiegelte sich in seinen Verwaltungsreformen wider. Plattner weist überzeugend darauf hin, dass Josephs Überlegungen zur Bürokratie „eine kontinuierliche Spur von den frühen Memoranden bis zum so genannten ‚Hirtenbrief’“ (S. 61) von 1783 aufwiesen. Gerade von hier aus betrachtet aber erschließt sich die Unvermeidbarkeit des Konflikts mit der Kirche, deren Infrastruktur und Tätigkeitsfelder bereits aus pragmatischen Gründen für Herrschaftsorganisation im josephinischen Sinne zentral waren.

Die Ausweitung des staatlichen Zugriffs wird auch in den Beiträgen über die Reformen im Sozial- und Bildungsbereich thematisiert. Verschiedene Reformen minimierten Privilegierungen und versuchten, den Grundsatz von der Gleichheit der Untertanen zu verwirklichen. Einmal mehr wird aufgezeigt, dass die damit einhergehenden Auseinandersetzungen und „die Erweiterung des staatlichen Bereiches bis an die Grenzen des Wohlfahrtsstaates […] wichtige Voraussetzungen zur Schaffung des Zentralstaates und der josephinischen Politik“ (S. 188) waren. Gernot Kocher verdeutlicht in seinem Beitrag, dass die Rechtsreformen erste wesentliche Schritte in Richtung eines Rechtsstaates einleiteten. Umfangreichere Veränderungen wie etwa die zentrale Gerichtsorganisation oder Ansätze zur Freiheit von Person und Eigentum blieben Basis für die Fortschreibungen im 19. und 20. Jahrhundert. Kocher weist auf die Ambivalenz der meisten josephinischen Reformmaßnahmen hin. Da ein Großteil der Reformkonzepte bereits vor dem Tod Maria Theresias 1780 vorbereitet war, konnte Joseph II. sie entsprechend zügig einleiten. Die gewachsenen Rechtsstrukturen in den verschiedenen Ländern der Monarchie hingegen berücksichtigte der Regent kaum.

Unzweifelhaft bedeuteten die josephinischen Rechtsreformen einen Modernisierungsschub, verloren aber an Wirksamkeit, weil sie oftmals nicht hinreichend rezipiert wurden – obwohl man beispielsweise Sorge trug für „die rasche Publikation der neuen Vorschriften in vorerst halbamtlichen Sammlungen“ (S. 131), sich redaktionell in Wien um eine einheitliche Ausdrucksweise bemühte und Bürokratie als Medium zunehmend erfolgreicher genutzt wurde. In Anbetracht der Quantität von Verordnungen mangelte es an Zeit zur Verarbeitung – sowohl in den Behörden wie in der Gesellschaft. Die an diesen Stellen zum Vorschein kommenden Grenzen des Zentralstaates mit seinen selbst geschaffenen Einrichtungen und den damit einhergehenden retardierenden und durchaus zur Verselbständigung führenden Momenten spielten hierbei eine gewichtige Rolle. Dieser Aspekt wird in den Beiträgen nur kurz gestreift. Nach wie vor fehlt es hier an tiefer gehenden Studien.

Die meisten Beiträge bieten einen materialreichen, die Forschungslage klar absteckenden und insgesamt konzisen Überblick über die Reformmaßnahmen Josephs II. Erstaunlich ist, dass sich die Betrachtungen lediglich auf die österreichischen Erblande konzentrieren. Gerade weil der Auf- und Ausbau des modernen Staates in der theresianisch-josephinischen Epoche (dem Erhalt) der ganzen Habsburgermonarchie galt, hätte die Einbeziehung Böhmens, Ungarns und der anderen Länder mehr Beachtung finden müssen. Dieser Aspekt steht selbst bei der Auswahlbibliographie außen vor.[2] Dennoch trägt der Sammelband dazu bei, den Aspekt des aufgeklärten Absolutismus am Josephinismus zu verdeutlichen. Präzisierungsbedürftig bleibt nach wie vor, was genau das Spezifische am Josephinismus ist, das ihn nicht deckungsgleich mit dem Phänomen des aufgeklärten Absolutismus macht.

 

[1] Vgl. Karl Otmar von Aretin, Der Josephinismus und das Problem des katholischen aufgeklärten Absolutismus, in: Richard Georg Plaschka u.a. (Hrsg.), Österreich im Europa der Aufklärung. Kontinuität und Zäsur in Europa zur Zeit Maria Theresias und Josephs II., Bd. 1, Wien 1985, S. 509-524, hier S. 520.

[2] Zu nennen wäre etwa die bereichernde Studie von Antal Szántay, Regionalpolitik im alten Europa. Die Verwaltungsreformen Joseph II. in Ungarn, in der Lombardei und in den österreichischen Niederlanden 1785-1790, Budapest 2005.

 

 

Sebastian Hansen

(Forrás: H-Soz-u-Kult)