Haberland, Detlef [Hg.]:

Buch- und Wissenstransfer in Ostmittel- und Südosteuropa

in der Frühen Neuzeit. Beiträge der Tagung an

der Universität Szeged vom 25–28. April 2006.

Oldenbourg, Wien, 2008.

 

 

Legt man heutige Herkunftskategorien zu Grunde, so ist der deutsche Anteil an den Anfängen der Buchproduktion und der Entwicklung des Buchmarktes in Ostmittel- und Südosteuropa beträchtlich. So nimmt es nicht Wunder, dass ein Band zu diesem Thema in der Reihe Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa erschienen ist.

Die Epoche jedoch, die der zu besprechende Sammelband behandelt, kennt weder Nationalliteraturen noch Nationalsprachen, das Selbstverständnis ihrer Kulturschaffenden ist regional, europäisch, ethnisch oder konfessionell, keinesfalls aber national. In thematisch vielfältigen, jedoch vom Umfang und von der Qualität her recht unterschiedlichen Beiträgen gelingt dem Sammelband ein insgesamt eindrucksvoller Einblick in Fakten und Probleme der Buchproduktion in der »ostwärts liegenden Mitte Europas« . [1]

Die Autoren und zugleich die Referenten des Kongresses, aus dem der Sammelband hervorging, sind Germanisten, Buchwissenschaftler, Bibliothekare sowie Kunst- und Religionshistoriker. Sie stammen größtenteils aus Deutschland und Polen, einige aus der Slowakei, Ungarn und Frankreich. Angesichts des regional sehr weit gefassten Titels des Sammelbandes erscheint dies eine etwas überraschende Konstellation. Der Blick in die Aufsätze selbst bestätigt in der Folge: Ein ausgeprägter inhaltlicher Schwerpunkt der Beiträge liegt trotz bisweilen anders lautender Aufsatztitel auf Polen und Siebenbürgen. Weite Teile Südosteuropas – Slowenien und die gesamte südliche orthodoxe Slavia – sind hingegen nicht behandelt. Kroatien ist mit einem Beitrag über Binnenkroatien vertreten, das für das gestellte Thema mindestens ebenso interessante venezianisch dominierte Küstenkroatien fehlt, Böhmen und Mähren sowie die Lausitz ebenso weitestgehend.

 

Geographische Enge

Weniger »Ostmittel- und Südosteuropa« stehen also im Fokus des Tagungsbandes als die primär deutsche Einflusssphäre zwischen Danzig und Kronstadt. Der »Nachholbedarf« bei der Forschung, von dem Detlef Haberland in seinem eine Vielfalt von Fragestellungen aufwerfenden, sehr informativen einleitenden Artikel (»Buch- und Wissenstransfer in Ostmittel- und Südosteuropa in der Frühen Neuzeit zwischen Regionalhistorie und Medientheorie(n)« (S. 9–22)) spricht, existiert in dieser Region allerdings in einem besonderen Maße. Er liegt unter anderem darin begründet, dass den Anteil der »deutschen Kultur« in Ländern Ostmitteleuropas zu untersuchen über viele Jahre nur einer Handvoll Spezialisten oblag, war doch der Wissenstransfer im Vergleich zu der hier thematisierten Frühen Neuzeit aus politischen wie auch aus sprachlichen Gründen durchaus eingeschränkt. Die im Vorwort angekündigte »weite Themenstellung« aller Beiträge, die keine Spezialprobleme behandeln sollen, sondern »das Ganze des östlichen Europa im Blick haben« (S. 7), trifft, wie oben bereits angedeutet, allerdings eher für die Titel der Beiträge als für deren Inhalte zu. So bietet beispielsweise der Aufsatz von Mihdly Baldzs »Buchdruck, Reformation und Gegenreformation im östlichen Europa« (S. 49–56) zwar einige interessante Erkenntnisse über die in der Reformation verbreiteten Gattungen und über die Rolle der mündlichen Tradition in Siebenbürgen, doch haben diese Erkenntnisse für andere Teile Ostmittel- und Südosteuropas durchaus keine Gültigkeit.

Ähnliches gilt für den Beitrag »Buchdruck und bildende Kunst im östlichen Europa« (S. 57–80) von Jan Harasimowicz. Er birgt zwar eine Fülle von interessanten Forschungsergebnissen zur Entwicklung und Besonderheiten der Buchillustration mit Holzschnitt und Kupferstich in Krakau, Breslau und Danzig, behandelt jedoch kaum die Frage, ob und inwiefern diese auch für das übrige östliche Europa Gültigkeit besitzen.

Auch der zweite einleitende Artikel des Bandes von Frederic Barbier »Die erste Medienrevolution. Erfindung der Druckerei und Vervielfältigung der schriftlichen Sprachen in Europa von der Mitte des 15. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts« (S. 23–48) hält, da er von den Ländern des östlichen Europa lediglich Böhmen und am Rande Ungarn behandelt, nicht das, was er in seinem Titel verspricht. Recht allgemein gehalten, legt er grobe Linien der Inkunabelentwicklung im Hinblick auf Inhalt, Sprache und Buchmarkt dar. Die Angaben scheinen jedoch verlässlicher für den westeuropäischen Raum als für den des Tagungsbandes: Eine Tabelle (S. 27) nennt Zahlen von Inkunabeldrucken in »Umgangssprache« im Vergleich zum Lateinischen. Als »Umgangssprachen« werden Tschechisch mit 33 Inkunabeln und Altkirchenslawisch mit 14 Inkunabeln angeführt. Unter »Altkirchenslawisch« sind offenbar nichttschechische slawischsprachige Inkunabeln gefasst. Tatsache ist jedoch, dass es zwar eine Reihe kirchenslawischer Inkunabeln verschiedener volkssprachlicher Redaktionen (zum Beispiel Kroatisch) gibt, jedoch keine »altkirchenslawischen.« [2] Auch waren weder das Altkirchenslawische noch das spätere Kirchenslawische je »Umgangssprachen«, vielmehr ausgesprochene Schrift- und Liturgiesprachen. Welchen geographischen Raum Barbier meint, wenn er angibt, die 14 »altkirchenslawischen« Inkunabeln machten 0,2 Prozent der Buchproduktion aus, bleibt völlig unklar. Derlei Ungenauigkeiten mögen im Rahmen westeuropäischer Buchforschung nicht gravierend sein, im gegebenen Kontext jedoch irritieren sie.

 

Thematische Vielfalt

Wenngleich also die geographische Breite des Sammelbandes hinter seiner Ankündigung deutlich zurückbleibt, so ist seine thematische Vielfalt beeindruckend und in hohem Maße informativ: Behandelt werden nicht nur die Buchproduktion einzelner Regionen und die Verbreitung bestimmter literarischer Gattungen, Techniken und Funktionen der Buchillustration, Fragen der Rezeptions- und Lektüreforschung, die verschiedenen Facetten des Buchmarktes mit Buchmessen und Papierherstellung, Privatbibliotheken und Leseverhalten. Neben dem lateinisch-, deutsch- und landessprachlichen Buchdruck wird auch der für den thematisierten Raum häufig vernachlässigte hebräische Buchdruck berücksichtigt.

Zu den gehaltvollsten gehört zweifellos der Beitrag »Buchdruck für Mittelost-, Ost- und Südosteuropa in den Zentren der Gelehrsamkeit nördlich der Alpen« (S. 135–154) von Ernst Rohmer. Nach einigen theoretischen Vorüberlegungen zum Verhältnis von Zentralraum und Peripherie behandelt er zunächst im Überblick die für Polen, Böhmen und Mähren, die Slowakei, Ungarn, Südosteuropa nördlich der Alpen wichtigen Druckorte, unter denen Nürnberg eine besondere Stellung einnahm. Neben politischen Gründen waren spezielle Kompetenzen (exotische Lettern, Illustrationsmöglichkeiten) sowie die Nähe zu zentralen Handelsplätzen, die die rasche Weiterverbreitung garantierten, ausschlaggebend für die Wahl eines entfernten Druckortes. Dass Rohmer als kennzeichnend für die Uracher »Südslawische Bibelanstalt« die Verwendung kyrillischer Typen »für die Anhänger der Reformation in jener Gegend« (S. 144) anführt, nicht aber die glagolitischen, ist allerdings ein kleiner Schönheitsfehler. [3]

Hervorzuheben ist ebenso der Artikel von Heike Wennemuth »Deutschsprachige Gesangbücher im östlichen Europa in der Frühen Neuzeit« (S. 103–133). Zeitlich und geographisch umfassend angelegt, gibt er einen gründlichen Einblick in die Verbreitung und Publikationsformen deutscher Liedsammlungen, ihre konfessionellen und politischen Hintergründe sowie die Wechselbeziehungen mit vergleichbaren landessprachlichen Publikationen.

Umfassende und fundierte Informationen über Lesebedürfnisse, Ausstattung von Bibliotheken, literarische Gattungen und Buchhandel von 1500 bis ins 18. Jahrhundert vermittelt Stefan Sienerth in seinem Beitrag »Leseangebot und Buchzirkulation in Siebenbürgen zwischen Humanismus und Aufklärung« (S. 281–309).

Der einzige Aufsatz, der Südosteuropa über Siebenbürgen hinaus behandelt, ist der von Wolfgang Kessler »Zur Geschichte des Buchdrucks im binnenkroatischen Raum bis zum Beginn der ›Illyristischen Bewegung‹ (1835)« (S. 215–279). Es lässt sich schwerlich vorstellen, dass dieser vor detailliertesten Informationen geradezu überquellende Beitrag mit allein 259 Fußnoten als Vortrag gehalten wurde. Es handelt sich eher um eine fundierte Monographie, in der viel originärer Forschungsarbeit steckt, als um einen Aufsatz.

Eine Fülle interessanter Fakten liefert Iwona Imañska in ihrem Beitrag »Verleger aus Danzig, Thorn und Elbing auf den deutschen Buchmessen im 18. Jahrhundert« (S. 155–164). Sie wertet die auf den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig ausgestellte belletristische und wissenschaftliche Buchproduktion in lateinischer, deutscher und polnischer Sprache von der zweiten Hälfte des 16. bis ins 18. Jahrhundert von Verlegern aus den genannten Städten sowie aus Warschau aus.

Als letzter Beiträger sei Krzysztof Migon hervorgehoben, der in »Die Anfänge des Buchdrucks in Schlesien« einführt (S. 165–182). In dieser »Brückenlandschaft« zwischen West und Ost mit ihrer spezifischen Mischung aus deutscher, polnischer und böhmischer Kultur entstand nach ersten Druckversuchen im 15. Jahrhundert (Breslau) eine breite Palette an amtlicher und religiöser Gebrauchsliteratur vorwiegend in bürgerlichen Druckereien und für den Bedarf der Schulen. Darüber hinaus gab es vereinzelt griechische, hebräische und jiddische Drucke sowie, im 17. Jahrhundert, arabische.

Den Band schließt ein sehr nützliches Autorenverzeichnis ab, das nicht nur den wissenschaftlichen Werdegang, sondern auch die wichtigsten Publikationen beinhaltet (S. 399–404). Es folgt ein Sigelverzeichnis (S. 405–406) und – für einen Kongressband von besonderem Wert – das sorgfältig erstellte Register (S. 407–424).

 

Fazit

Alles in allem ist dem Herausgeber eine Art Handbuch mit vielerlei Anregungen zur weiteren Forschung gelungen, das anzuschaffen jeder Bibliothek zu empfehlen ist. Dass die Geschichte des Buchwesens gerade in der ethnisch, sprachlich, konfessionell und politisch äußerst komplexen Region zwischen Danzig und Kronstadt essentieller Bestandteil mitteleuropäischer Kulturgeschichte und geistesgeschichtlicher Forschung ist, mag nach der Lektüre niemand bezweifeln.

 

Anmerkungen:

1 Vgl. Karl Schlögl: Die Mitte liegt ostwärts. Europa im Übergang. München, Wien 2002. 

2 Barbiers Angaben beruhen vermutlich auf einer nicht korrekt ins Deutsche übertragenen Recherche nach Sprachen im Incunabula Short Title Catalogue, der an slawischen Sprachen »Czech« und »Church Slavonic« unterscheidet, vgl. URL: http://www.bl.uk/catalogues/istc/index.html.  

3 Zu den südslawischen Reformationsdrucken zuletzt Aloiz Jembrih: Stipan Konzul i »Biblijski zavod« u Urachu; rasprave i graða o hrvatskoj knjižnoj produkciji u Urachu (1561–1565) i Regensburgu (1568), Zagreb 2007.

 

Gudrun Wirtz 

(Forrás: http://www.iaslonline.de)