Braun, Guido: 

Von der politischen zur kulturellen Hegemonie Frankreichs 1648–1789

Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2008.

 

 

 

 

Dieser mittlerweile vierte Band der auf elf Bände angelegten Reihe Deutsch-Französischer Geschichte widmet sich der Zeit zwischen dem Westfälischen Frieden und der Französischen Revolution. Als Handbuch angelegt, gliedert er sich in drei Teile: Nach einem eher konventionellem Überblick über die wichtigsten politisch-diplomatischen Ereignisse folgt ein mit „Fragen und Perspektiven“ überschriebener Teil, der in prägnanten Forschungsessays wichtige Themen der Deutsch-Französischen Geschichte umreißt. Abgeschlossen wird der Band mit einer thematisch gegliederten, über 900 Titel umfassenden Bibliographie, einer Zeittafel und einem Personenregister.

Geschichte auch im Handbuchformat einmal nicht aus der Perspektive des nationalstaatlichen Rahmens zu schreiben, sondern als Beziehung auf vielen Ebenen, muss als mutiger und längst überfälliger Schritt gelten. Die Leser erwartet die Einführung in eine beziehungsreiche Geschichte, in der eine beindruckende Bandbreite an Aspekten angesprochen wird. Die außenpolitischen Beziehungen werden im ersten Teil sehr ausführlich geschildert; die Verflechtungen im Bereich der Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft in dem zweiten Teil knapper gefasst. Die Verlagsvorgaben in Struktur und Umfang mögen dazu beigetragen haben, und Guido Braun bedauert, dass er das Manuskript um zwei Fünftel kürzen musste. Dem Überblicksteil ist aber anzumerken, dass Braun ihn als „Pflicht“ empfand, entgegen der „Kür“ (S. 13) des zweiten, wesentlich gelungeneren Teils.

Dass sich ein Überblick zur Geschichte zweier Länder allein auf diplomatische Beziehungen und kriegerische Auseinandersetzungen beschränken kann, entspricht doch eher einem traditionellen Bild der Geschichtsschreibung. Guido Braun konnte seine vielen Hinweise zu einer erneuerten Kulturgeschichte des Politischen nicht durchgängig umsetzen. So verweist er immer wieder auf das „Bild“, die Wahrnehmung Frankreichs bzw. des Reichs durch die verschiedenen Akteure. Man hätte gerne mehr dazu erfahren, wie und von wem diese Bilder konstruiert wurden und welche Wirkung sie entfalten konnten. Neben den klassischen Entscheidungsträgern, den französischen Königen, den Kaisern und Kurfürsten, werden auch Mätressen, Minister, Berater, Gesandte, (Rechts-) Gelehrte und andere Akteure namhaft gemacht, die offenbar über Einfluss und eigene Meinung verfügten, ohne dass dieser Ansatz aber systematisch für eine neue Geschichte des Politischen genutzt würde. Es stellt sich die Frage, was Politik ist und wer sie mitbestimmt. Die Bedeutung von Zeremoniell und symbolischen Handlungen [1], ein bedeutender Ansatz der neueren Kulturgeschichte des Politischen, wird kaum gestreift.

Statt dessen wird ein klassischer Abriss der zwischenstaatlichen Beziehungen gegeben. Nach einer langen Phase des französisch-habsburgischen Gegensatzes und der starken französischen Expansion und Einflussnahme in Belange des Reichs (von den expansionistischen Bestrebungen bis hin zu Personalfragen auf Ebene der Beamten in geistlichen Fürstentümern, vgl. S. 115) folgte mit dem Siebenjährigen Krieg ein grundsätzlicher Wandel der Beziehungen. Frankreich und Habsburg traten in eine gegen Preußen und England gerichtete Allianz, und die politische Einflussnahme Frankreichs im Reich ging stark zurück. Dieser Wandel betraf offenbar nicht nur den als „diplomatische Revolution“ bezeichneten Allianzwechsel, sondern auch die kulturellen Handlungsmuster der Beziehungen.

Die kenntnisreiche und nahezu zu detaillierte und gedrängte Ausführung dieser Periodisierung verdeckt leider die vielen interessanten und wichtigen Beobachtungen Brauns, die systematischer hätten ausgeführt werden können. Die Denkmuster der Mechanik von natürlichen Verbündeten und Feinden etwa überlagerten oft pragmatische Entscheidungsfindung (S. 112); dynastisch-erbrechtliche Argumentationsmuster wurden nach und nach durch neue geostrategische Prinzipien abgelöst (S. 114); das Konzept von „Grenze als Übergangsraum“ wich im 18. Jahrhundert zunehmend „dem Ideal einer linearen und die Überschneidung von Rechtssphären ausschließenden Grenzkonzeption“ (S. 78); die gängige Praxis der Subsidienzahlung Frankreichs an die Reichsstände endete nach dem Siebenjährigen Krieg (S. 108) – aber was bedeutet das für die Praxis der Beziehungen bis zu diesem Zeitpunkt?

Im Mittelpunkt dieses Überblicks stehen eher bilaterale Beziehungen, und das heißt hier vor allem: kriegerische Auseinandersetzungen und die sie begleitenden diplomatischen Verhandlungen. Dabei kommt zu kurz, wie die Beziehungen praktisch von den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen gestaltet wurden, auch in Friedenszeiten. Was ist Herrschaft? Dabei hätte dann systematischer thematisiert werden können, was ein Herrschaftsgebiet und Grenzräume ausmacht. Dass dem Band nur eine Karte des Reichs, nicht aber Frankreichs beigegeben wurde, verstärkt noch den Eindruck, dass man es weitgehend mit homogenen Staaten zu tun hat. Dass es auch in einem Handbuch anders machbar ist, zeigt der Nachfolgeband von Bernhard Struck und Claire Gantet [2], die genau diese Fragen nach Räumen, Grenzen und gesellschaftlichen Gruppen in den Vordergrund ihres Überblicks stellen und die Methoden des Vergleichs, Transfers und der histoire croisée reflektiert verwenden.

Der zweite Teil hingegen besticht durch seine zum Teil exzellenten, gut lesbaren Forschungsüberblicke, die neue Einsichten in viele der Aspekte bieten, die im Überblicksteil fehlten. Hier begegnen dann auch andere gesellschaftliche Gruppen und deren transnationale Verflechtungen. Die Perspektive auf homogene „Staaten“ wird nun gebrochen etwa durch die gelungenen Darstellungen von Wirtschaftsbeziehungen, Migration [3] und kulturellen Transferbeziehungen. Interessant dürften insbesondere die Ausführungen zu den Wechselwirkungen im Bereich von Theater und Musik sein, wenn auch weitgehend an der höfischen Kultur orientiert. Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit den jeweiligen Sprachkompetenzen; ein letztes thematisiert die Vorstellungen von Identität und Alterität.

Mit Hilfe der gut dokumentierten Forschungsliteratur eignen sich insbesondere die Kapitel dieses zweiten Teils außerordentlich gut als Einstieg in und Überblick über die jeweiligen Themen unter transnationaler Perspektive. Diese Darstellungen dürften nicht nur historisch Interessierte und Studierende hilfreich finden, sondern auch Fachhistoriker anregen. Desiderate werden immer wieder markiert. In pointierter Darstellung gelingt es Guido Braun hier, ein differenziertes Bild deutsch-französischer Beziehungen zu zeichnen, die durch sehr verschiedene Akteure gestaltet worden sind. Geschickt gewählte Schlaglichter und exemplarische Miniaturen lassen die vielschichtigen Verfechtungen plastisch werden.

Insgesamt ergibt sich so ein zweischneidiges Bild. Die Probleme des ersten Teils sollten aber nicht die Verdienste des zweiten verdecken. Der Band dürfte daher eine breitere Leserschaft anvisieren.

 

Anmerkungen: 
[1] Vgl. etwa Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 35), Berlin 2005. 
[2] Bernhard Struck / Claire Gantet, Revolution, Krieg und Verflechtung 1789 bis 1815 (Deutsch-Französische Geschichte Bd. 5), Darmstadt 2008. 
[3] Vgl. auch den ausgelagerten detaillierteren Überblick zur Migration von: Guido Braun, Deutsche Präsenz in Frankreich, französische Präsenz in Deutschland von 1648 bis 1789. Überblick und Probleme der Forschung, in: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte 35 (2008), 381-430.

 

Sebastian Kühn

(Forrás: H-Soz-u-Kult)